Genossenschaftsverbände – in Deutschland – eine kritische Analyse

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genoleaks wurde ein internes Arbeitspapier mit dem Arbeitstitel Genossenschaftsverbände und genossenschaftliche Prüfungsverbände – eine kritische Bestandsaufnahme zur aktuellen Entwicklungen der Genossenschaftsorganisation – vertraulich zugespielt. Nach einer internen Bewertung des Sachverhalts veröffentlicht genoleaks den Beitrag, der offensichtlich von einem Insider stammt, ungekürzt. Anmerkungen: Während Genossenschaften weltweit von unten – durch ihre Mitglieder gesteuert werden – sieht es in Deutschland und Österreich anders aus. Hier herrscht das 1934 eingeführte Führerprinzip. Das heißt die Rechte der Mitglieder wurden stark eingeschränkt. Die Genossenschaften werden von oben – durch ihre Verbände gesteuert. Die Interessen der Mitglieder werden vernachlässigt, was dazu führte, dass sich die Genossenschaftsmitglieder mit igenos e.V. ihre Interessenvertretung inzwischen selbst in die Hand nehmen und mit dem CoopGo Bund ihren eigenen Verband gründen

Genossenschaftsverbände in Deutschland haben die Rechtsform eines eingetragenen Vereins (e.V.). Die Aufgabe eines Genossenschaftsverbandes besteht insbesondere in der Pflichtprüfung von Genossenschaften (eG). Darüber hinaus werden von Genossenschaftsverbänden beispielsweise auch Fort- und Weiterbildungsangebote unterbreitet und Funktionen in der Öffentlichkeitsarbeit übernommen. Ferner erfolgt eine gesellschafts- und wirtschaftspolitische Positionierung der Genossenschaftsverbände und damit eine Interessenvertretung von Genossenschaften. Neben den bundesweit tätigen Spitzenverbänden bestehen eine Reihe von genossenschaftlichen Regionalverbänden oder auch Fachprüfungsverbänden (z.B. Verband der Sparda-Banken e.V.). Laut Gesetz muss eine Genossenschaft einem genossenschaftlichen Verband angehören, der prüfungsberechtigt ist. Genossenschaften ohne solch eine Verbandsangehörigkeit sind also rechtlich ausgeschlossen.1

Bis etwa 1990/91, also in etwa zeitgleich zur deutschen Wiedervereinigung, hatten die Genossenschaften im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einem Genossenschafts- oder Prüfungsverband im Prinzip keine Wahl. Je nach Charakteristik und Sitz der Genossenschaft war eine Genossenschaft entweder dem ländlichen und gewerblichen Genossenschaftswesen (DGRV), dem wohnungsgenossenschaftlichen Verbandswesen (GdW) oder dem Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften (ZdK) zugeordnet. In Fachkreisen wurde kritisch darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um oligopolartige Strukturen mit entsprechenden Nachteilen handelte. Heute hingegen verfügen Genossenschaften über Wahlfreiheit, wodurch ein wünschenswerter Wettbewerb zwischen den Genossenschaftsverbänden ermöglicht werden soll. Ursächlich für diese Gewährung von Wahlfreiheit waren im Übrigen Initiativen zur Aufhebung einer als solcher wahrgenommenen „Verbands-Zwangsmitgliedschaft“ seitens handwerklich-gewerblich geprägter Genossenschaften in der früheren DDR.2

Genossenschaftliche Prüfungsverbände unterliegen dem Neutralitäts- und Unbefangenheitsgebot. Die mögliche Kritik, wonach durch die Mitgliedschaft einer zu prüfenden Genossenschaft beim entsprechenden Prüfungsverband eine zu starke Nähe bewirkt wird und damit Befangenheitsbesorgnis bestehen könnte, wird in Fachkreisen mit Verweis auf eine organisatorische und rechtliche Trennung der Prüfungs- von sonstigen Interessenbereichen in der Regel verworfen.3 Die Erbringung von Beratungs- und Prüfungsleistungen im Rahmen genossenschaftlicher Verbände gewährleistet einen grundsätzlich hohen Qualitätsstandard. Allerdings sind gemäß der aktuellen Fachliteratur auch hier problematische Konstellationen, etwa Compliance-Gefährdungen durch Interessenkonflikte, nicht gänzlich auszuschließen. Dies gilt insbesondere bei Doppel- oder Mehrfachmandaten, wenn also Angehörige eines genossenschaftlichen (Prüfungs-) Verbandes sowohl in diesem Verband als auch zugleich in einer zu prüfenden Genossenschaft oder genossenschaftlichen Organisation als Organwalter mandatiert sind. Bei derartigen Konstellationen könnte die Neutralität von Prüfungshandlungen beeinflusst werden. Ein derartiges Risiko kann durch eine Gleichzeitigkeit von Prüfungs- und sonstigen Beratungsleistungen unter bestimmten Bedingungen (Informationsabschöpfung) noch forciert werden. Auf der anderen Seite hat sich das Bild von Wirtschaftsprüfern gewandelt: nach modernem Verständnis werden diese nicht mehr primär als Fachleute für Jahresabschluss- und Bilanzprüfungen, sondern auch als Ratgeber für Geschäftsprozesse, Organisationsstrategie und Risikomanagement gesehen. Sollte aber tatsächlich eine Befangenheitsbesorgnis in Bezug auf einen Prüfungsverband begründet werden, so kann eine Genossenschaft nach den einschlägigen Bestimmungen des Genossenschaftsrechts den Verband ablehnen.4

Neben kritischen Fragen zur Rolle von Doppelt- oder Mehrfachmandatierungen und damit möglicherweise zusammenhängenden Interessenkollisionen oder Befangenheitsrisiken sind für Genossenschaften weitere Aspekte für die Auswahl (respektive Abwahl und Neuwahl) eines geeigneten Prüfungsverbandes wesentlich. So war nach Berichten aus der Praxis feststellbar, dass insbesondere in den Neuen Bundesländern, aber auch in anderen Regionen, „die Genossenschaften einen Prüfungsverband wünschen, der einen regionalen Bezug und/oder einen solchen zu dem besonderen Geschäftszweig der jeweiligen Genossenschaft hat. Die Genossenschaften sind immer weniger bereit, Mitglied des ihnen zugewiesenen genossenschaftlichen Prüfungsverbandes zu sein, sondern wünschen sich einen Verband, der aus ihrer Sicht für sie ‚der Beste‘ ist“.5

In den zurückliegenden drei Jahrzehnten ist gleichwohl die Zahl genossenschaftlicher Prüfungsverbände gesunken. Hierbei wird teils kritisch auf die Rolle des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen e.V. (Vereinssitz Frankfurt/Main, Neu-Isenburg als einer der Verwaltungssitze) eingegangen, der einige größere regionale Prüfungsverbände regelrecht „geschluckt“ hatte. Inwieweit solch eine Entwicklung als problematische „Konzentration und Monopolisierung des genossenschaftlichen Prüfungswesens“6 aufzufassen ist, erscheint sicherlich diskussionswürdig. Die Tatsache, dass dieser Verband vor einigen Jahren gar eine Art von Alleinvertretungsanspruch für den Begriff „Genossenschaftsverband“ geltend machte und mit diesem Ansinnen rechtlich scheiterte, dürfte sich wohl kaum förderlich auf die Akzeptanz im genossenschaftlichen Bereich ausgewirkt haben (entsprechende Gerichtsurteilstexte, aus denen einschließlich Kommentierungen erkennbar hervorgeht, dass es sich nur um den genannten Verband gehandelt haben kann, lassen sich online nachlesen).7

Schiere Größe – der Genossenschaftsverband – Verband der Regionen deckt 14 von 16 Bundesländern ab (Stand: 2019) – sollte jedenfalls nicht darüber entscheiden, welchen Prüfungsverband eine Genossenschaft auswählt. Es lassen sich Beispiele dafür finden, dass regional und auf eine bestimmte Branche spezialisierte Neugründungen genossenschaftlicher (Prüfungs) -verbände auf positive Resonanz stoßen und erfolgreich arbeiten. Exemplarisch kann der Raiffeisenverband Westfalen-Lippe e.V. (RVWL) genannt werden, der sich auf Genossenschaften überwiegend aus dem Agrarbereich konzentriert. Entscheidend für diese Neugründung war keineswegs eine Oppositionshaltung gegen bestehende Verbände, sondern das Bestreben, unter Wahrung der regionalen Prägung explizit den Agrarbereich als Spezialist abzudecken.8 Neben der Achtung bewährter genossenschaftlicher Prinzipien wie der Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Mitgliederförderung ist solch eine Ausrichtung auf die Region sicherlich ein identitätsstiftendes Merkmal im Genossenschaftsbereich. Bei mangelnder Berücksichtigung dieser Charakteristika könnten genossenschaftliche Organisationen/Verbände leicht in eine gewisse Beliebigkeit abdriften und wären dann kaum noch von Unternehmen, die einzig eine Gewinnmaximierung verfolgen, zu unterscheiden.

Vor solch einem Hintergrund mag man die Strategie des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen, die dieser auch über die mit ihm verbundene Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft AWADO verfolgt, kritisch diskutieren. Die AWADO ist nach ihrem eigenen Transparenzbericht (2019) „eng mit dem Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V., Frankfurt am Main, verbunden und stellt mit diesem ein Netzwerk im Sinne des § 319b HGB dar“9. Nach Medienberichten (FAZ) solle diese Gesellschaft, die bereits heute Drittmandate außerhalb des genossenschaftlichen Bereichs wahrnimmt, in den kommenden Jahren ihre Umsätze von derzeit rund 100 Mio. € möglichst verdreifachen. Neben dem organischen Wachstum mit Neukunden außerhalb des Genossenschaftsbereichs (beispielhaft werden Industriebanken wie eine Siemens Bank GmbH genannt) nehme man dabei auch aktiv Übernahmekandidaten im Wirtschaftsprüfungsbereich ins Visier. Offenbar soll auf diese Weise das Ziel, im Markt für Wirtschaftsprüfung in den Kreis der zehn größten Prüfungsgesellschaften zu gelangen, erreicht werden.10 Die Frage, inwieweit all dies noch mit genossenschaftlichen Prinzipien zu tun hat, möge sich ein jeder selbst beantworten. Einige regionale Genossenschaften haben die Frage offenbar für sich bereits beantwortet und ihre Schlussfolgerungen gezogen. Hinweis am Rande: auch die privatwirtschaftliche Wirtschaftsprüfungsorganisation Ernst & Young gehört dem illustren Kreis der „Großen Zehn“ an. Hat die entsprechende Gewinnorientierung möglicherweise den Blick bei der Prüfung der kürzlich unter skandalösen Bedingungen in die Insolvenz gegangenen Wirecard AG zeitweise vernebelt? Auf die notwendige Aufklärung darf man gespannt sein.

in eigener Sache *******************************************************

Wir danken hiermit noch einmal allen Informanten, die genoleaks mit
internen Unterlagen versorgen.

Die von genoleaks an das Tageslicht gebrachte GenoGate Affäre betrifft mehr als 18.Millionen Genossenschaftsmitglieder. Für die umfangreiche GenoGate Dokumentation benötigt das GenoLeaks Team jedoch noch weitere Unterlagen und weiterführende Hinweise aus unterschiedlichen Regionen wie z.B. interne Korrespondenz.

Zusammenfassende Schlussbemerkungen der Prüfungsberichte, aus dem genossenschaftlichen Bankensektor  => Muster

Präsentationen der Genossenschaftsverbände zur  Strategie und Steuerung der Genossenschaftsbanken und deren Mitarbeiter  =>  Muster

Interne Berichte  z.B. zur  Vorbereitung von Fusionen  =>  Muster

Besprechungsprotokolle  =>  Muster

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Quellennachweise (der letzte Abruf der Online-Quellen erfolgte am 14.8.2020):

https://www.konsum-info.de/cms/zeigeBereich/7/zeigeText/14/die-zukunft-der-genossenschaftlichen-pruefungsverbaende-der-genossenschaftlichen-pflichtpruefung-und-des-zwanges-mitglied-eines-pruefungsverbandes-zu-sein.html

2 https://www.genonachrichten.de/degp-ein-genossenschaftsverband-schreibt-geschichte/

3 Sassen, Fortentwicklung der Berichterstattung und Prüfung von Genossenschaften – Eine betriebswirtschaftliche und empirische Analyse vor dem Hintergrund des genossenschaftlichen Förderauftrags, Wiesbaden 2011, S. 48ff.

4 Glitza, Compliance-Management in der Wirtschaftsprüfung – Verantwortungspotenziale und Risiken unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsmandaten, in: WP Praxis 1/2020

5 Wie Anmerkung 1.

6 https://www.konsum-info.de/cms/zeigeBereich/6/zeigeText/260/da-waren-es-nur-noch-35-.html

7 https://www.konsum-info.de/cms/zeigeBereich/6/zeigeText/139/begriff-genossenschaftsverband-fuer-den-allgemeinen-sprachgebrauch-gerettet.html

8 https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/neuer-regionaler-raiffeisenverband-westfalen-lippe-hat-sich-etabliert-9607693.html

9 https://awado.de/fileadmin/redaktion/downloads/AWADO_Transparenzbericht_2019.pdf (S.9)

0 Giersberg, Ein neuer Prüfer mit viel Ehrgeiz – Genossenschaften schicken AWADO ins Rennen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 23.6.2020, Nr. 143, S. 18

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